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ISSN: 1869-6880
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Call for Papers

CALL FOR PAPERS

Twenty-third issue: 15 June 2021
Main topic: „truth and fiction“
Final paper submission deadline 30 april 2021

It’s also possible to submit papers with themes apart from the main topics.

CALL FOR PAPERS
für die kommende dreiundzwanzigste Ausgabe 1/2021
Erscheinungstermin: 15.06.2021
Themenschwerpunkt: „Wahrheit und Fiktion“
Abgabe Deadline 30. April 2021

„Wahrheit und Fiktion“
Liebe Leserinnen und Leser,

Gehen wir von der heute allgemein und in den Wissenschaften, insbesondere in der Psychosomatik anerkannten Annahme aus, dass Körper (Physis) und Geist (Psyche) nicht grundsätzlich voneinander getrennt werden können, sondern sich gegenseitig beeinflussen können, dann lässt sich im Zusammenhang mit „Wahrheit und Fiktion“ eine provokante These aufstellen, die wir als Herausgeber 
vertreten und für die kommende Ausgabe zur Diskussion stellen möchten:Wie „Physis“ im Sinne des „Objektiven“ und „Psyche“ im Sinne des „Subjektiven“ sich gegenseitig beeinflussen können, so können sich auch „Wahrheit“ als „das Objektive“ und „Fiktion“ als „das „Subjektive“ gegenseitig beeinflussen. Die Konsequenz dieser These läuft darauf hinaus, dass wir uns von dem alten Wahrheitsbegriff, nämlich: „Wahrheit ist Übereinstimmung des Denkens mit dem Gegenstand“, verabschieden müssen, ihn hinter uns lassen müssen – insbesondere in den sogenannten Geisteswissenschaften, der Philosophie, der Soziologie, den Erziehungswissenschaften und der Psychologie.Wenn wir uns den altgriechischen Begriff und den Ursprung unseres Wortes Psyche anschauen, dann stand dieses Wort ursprünglich für den Atem, den Hauch – und die Seele, die ein- und ausfließend, nie stehend, im Austausch zwischen Innen und Außen zwar organischen Ursprungs, aber doch selber kein Organ des Körpers darstellt. Sie ist also zugleich persönlich sehr wirklich und wirksam, sogar lebenswichtig; und gerade wo der Atem sich der äußeren Welt stellt, wird er flüchtig und kaum mehr zu fassen. Ganz passend war Psyche zugleich ein Wort für „Schmetterling“, da die anmutigen, aber schwer zu fassenden Tiere als Verkörperung der menschlichen Seele angesehen wurden. Und viele waren und sind der Überzeugung, dass diese Seele letztlich unser eigentliches Selbst oder eigentliches „Ich“ ist, das in direkter Verbindung zur Wahrheit und Wirklichkeit steht.Folgen wir Richard Rorty, dann ist, was wir „Seele“ nennen, eine von uns selbst erfundene und sehr nützliche Idee, die wir seit Generationen tief in uns verlegt haben, weil sie sich für uns in verschiedener Hinsicht praktisch nützlich bewährt hat – und das auch weiterhin durchaus noch tut. (Consequences of Pragmatism 1982)In Der Spiegel der Natur (1979) wendet sich Rorty gegen die Vorstellung, unser Verstand, unsere geistigen und kognitiven Vermögen und unser Wissen bringe die Welt wie in einem Spiegel (ähnlich einer Spiegelreflexkamera), so wie sie in Wahrheit und Wirklichkeit ist, für uns zur Darstellung.Im Anschluss an John Dewey (Die Suche nach Gewissheit 1929) hält Rorty diese Vorstellung für eine „Zuschauertheorie des Erkennens“. Bei dieser Zuschauertheorie gehen wir davon aus, dass uns „Wahrheit“ und „Wirklichkeit“ direkt „gegeben“ sind, dass sie uns „primäre Daten und -material“ liefern, so wie diese Wahrheit und Wirklichkeit ist.Diese Sammlung wird dann von unseren Vermögen so bearbeitet, dass sich uns die Welt als ein Ganzes und Passendes rekonstruiert. Aus biologischer Sicht könnte man ergänzen, dass dieses „Wahrnehmen“ nicht dem Primat der Abbildung von Wirklichkeit dienen muss, sondern vorwiegend der optimalen Anpassung an das jeweilige Habitat: Vor allem wenn diese Anpassung gelingt, wird die „Wahrnehmung“ überleben. Um aus der trügerischen Wahrheit solcher Wahrnehmung dennoch ein Wissen werden zu lassen, braucht es mehr als nur das sinnliche Phänomen. An diese Position lässt sich mit Wilfried Sellars (Der Empirismus und die Philosophie des Geistes 1956) „Mythos des Gegebenen“ anschließen. Denn unabhängig von Denken und Sprache können wir rein gar nichts Wahrgenommenes zur Erfahrung werden lassen. Um etwas in Erfahrung zu bringen beziehungsweise etwas „wahr“ zu nehmen, müssen wir es in Begriffe fassen, und diese lernen wir durch die Sprache, den alltäglichen Sprachgebrauch. Begriffe und Sprache wiederum entziehen sich der reinen Subjektivität, weil sie sich in ihrer Anwendung letztlich immer dem anderen zuwenden – selbst in unserer stillen Denkwelt, wo wir uns stets einem inneren Beobachter im Sinne eines „Dritten“ stellen, der sich aber auch erst dann in uns repräsentiert, wenn unsere Seele in ihrer frühkindlichen sozialen Entwicklung eine gewisse Reife erreicht hat.Passend dazu ist „Wissen“ ist für Rorty – nicht zuletzt auch im Anschluss an Hans-Georg Gadamer (Wahrheit und Methode 1960) – das Ergebnis von „Gespräch“ – und „sozialem Handeln“. Wahrheit und Wissen wird nicht danach beurteilt, ob einer „Tatsache“ tatsächlich etwas wahres und wirkliches in der Welt entspricht, sondern „wahr“ ist, „was die Gesellschaft uns sagen lässt“.Dass unsere Gesellschaft dabei in Zukunft durch „Geborgenheit“ und „Mitgefühl“ ausgezeichnet sein kann, dafür empfiehlt Rorty eine „Schule der Empfindsamkeit“ (Wahrheit und Fortschritt 1998), die nicht durch die Suche nach Gewissheit voranschreitet, sondern durch Phantasie, durch Fernsehdokumentationen, Zeitungsberichte, aber vor allem durch Fiktion, durch Literatur und vor allem Romane (Kontingenz, Ironie und Solidarität 1989).Wenn wir diese These ernst nehmen, dann hat das entscheidende Konsequenzen auch und nicht zuletzt für die therapeutische Praxis, denn dann ist nicht entscheidend, ob den Geschichten, die wir von anderen hören, etwas Wahres und Wirkliches in der Welt entspricht, sondern, um es mit Paul Auster zu sagen, „nicht ihre Beziehung zur Welt, sondern zu anderen Geschichten“ (Die New-York-Trilogie 1985-1987).

Joachim Heil und Wolfgang Eirund

Dezember 2020